Freiheit!? Aber sicher!? – Impulse zum Nachdenken

Freiheit!? Aber sicher!? – Impulse zum Nachdenken
Was braucht der Mensch, um frei zu sein? Wann bin ich wirklich frei? Habe ich in dieser Welt nicht alle Freiheiten, mich zu entscheiden?
Was braucht der Mensch, um sicher zu sein? Wann fühle ich mich sicher und geborgen? Wo ist mein Platz in dieser Welt, den mir niemand mehr nehmen kann?
Schließen sich Freiheit und Sicherheit aus oder bedingen sie sich? Muss man Freiheit aushalten? Kann man nur frei sein, wenn man sicher ist? Oder ist die Aufgabe der letzten Sicherheit der Garant für unbedingte Freiheit?
Geschenkte Freiheit?
Stellen Sie sich vor, Sie sind 10 Jahre in einem Gefängnis eingesperrt. Ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt. Der Alltag wird Ihnen in strikten Anweisungen vorgegeben: Essen, schlafen, arbeiten, Freigang. Dann werden Sie aus dem Gefängnis entlassen. Man sagt auch: Ihnen wurde die Freiheit (wieder) geschenkt.
Ist diese Freiheit geschenkt? Kann man Freiheit überhaupt schenken? Inwiefern war man unfrei, als man im Gefängnis war? War dies lediglich die äußere Freiheit, die nicht da war, die innere jedoch blieb erhalten? Selbst, wenn man eingesperrt ist, ist man doch frei – in Gedanken zu gehen, wohin man will, zu sagen, was man sagen will, zu denken, was man denken mag. Es ist diese Freiheit, die ich mir nehme. Die Gedanken sind frei …
Freiheit, alles zu sagen
Freya von Moltke schrieb ihrem Mann, als man ihn, ein Mitglied des Kreisauer Kreises, verhaftete und er auf seinen Prozess und das bereits vor Prozessbeginn sichere Todesurteil wartete, dass er Herrn Freisler alles ins Gesicht sagen könne, er könne öffentlich dieses verbrecherische System anprangern, denn sie wüssten ja bereits jetzt, dass er sterben werde. Er wäre frei, jetzt alles zu sagen. Und das tat er. Er schrieb seiner Frau zurück, dass er sterben werde, weil er gedacht habe. Die Freiheit des Denkens wurde geahndet wie ein Verbrechen, weil es die Sicherheit eines verbrecherischen Systems bedrohte.
Freiheit und Selbst-Sicherheit
Kann man daher Freiheit nur erhalten, wenn man Sicherheiten aufgibt? Oder kann man (nur) frei sein, wenn man sicher ist? Wessen muss man sich sicher sein?
Meine Tochter plante nach dem Abitur für ein halbes Jahr nach Kanada zu gehen. Sie schien sich darauf zu freuen. Doch so richtige Freude wollte sich nicht einstellen und am Tag der Abreise hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre nicht in das Flugzeug gestiegen. Denn sie hatte Angst. Sie wusste nicht, was sie dort erwartet. Sie hatte nur einen groben Plan.
Bisher war ihr Leben nicht nur nach einem groben Plan verlaufen, sondern nach einem klar strukturierten: Aufstehen, waschen, frühstücken, Schule, lernen, Hausaufgaben, ein bisschen Sport, Freunde treffen, essen, schlafen. Sie kannte ihre Wege und die Menschen, die ihr darauf begegneten. Sie fühlte sich sicher.
Nun nahm sie sich die Freiheit, in ein Land zu reisen, das sie nicht kannte und auf Menschen zu treffen, die sie nicht kannte, an Orten, die sie nicht kannte. Sie hatte noch keine Idee, ob sie einen Job ergattern und wo sie leben würde. Das machte ihr Angst.
Ein paar Wochen später skypten wir. Sie erzählte mir, dass eine Freundin aus Deutschland nach Kanada käme. Diese habe sie gefragt, ob die Farm, auf der meine Tochter inzwischen arbeitete, noch Arbeiterinnen gebrauchen könne. Diese Freundin war voller Sorge, dass sie nicht genügend geplant und vorgesorgt hätte. Meine Tochter lachte und winkte ab. „Du meine Güte, das ist doch erst in ein paar Wochen. Die soll sich doch keine Sorgen machen, das wird schon.“ Und dann hielt sie inne, dachte kurz nach und lachte wieder. „Meine Güte, ich war auch so. Ich habe mir so viele Sorgen gemacht. Und jetzt …“
Und jetzt? Sie hat erfahren, dass sie in der Freiheit sicher sein kann, wenn sie sich selbst vertraut. Wenn Sie ihrem Instinkt folgt und ihre Persönlichkeit selbstbewusst einsetzt. Inzwischen reist sie mit kleinstem Gepäck durch das Land, überlegt, ob sie ihre Zelte abbrechen soll, wenn es ihr nicht mehr gefällt, auch ohne eine Idee zu haben, wohin es gehen könnte. Sie nimmt sich die Freiheit, weil sie sicher ist, dass es gut gehen wird. Zuversicht ist auch eine Form von Sicherheit, die die Freiheit braucht.
Freiheit schafft Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Meine Tochter hatte davon mehr im Gepäck nach ihrer Rückkehr als vor der Abreise.
Freiheit, einfach nur zu denken?
Ein Kollege, der seit vielen Jahren in einer strikt hierarchischen Organisation arbeitet und dort inzwischen eine herausragende Führungsposition bekleidet, war irritiert. Der oberste Chef der Organisation hatte 30 Mitarbeitende, den gesamten Führungsstab sowie langjährige Mitarbeitende und junge Auszubildende, zu einer dreitägigen Veranstaltung eingeladen. Neben dem Datum und dem Ort der Veranstaltung stand in der Einladung: „Wir wollen drei Tagen einfach nur denken.“ Unter den Mitarbeitenden schlug die Unsicherheit hohe Wellen. Man stellte Fragen und erhielt Antworten: Gibt es ein Programm? – Nein. Sollen wir Unterlagen mitbringen? – Nein (was den Finanzchef besonders irritierte). – Gibt es (wenigstens) eine Kleiderordnung? – Nein.
Eine Organisation, in der Mitarbeitende und die Menschen, die mit ihr zu tun haben, seit Jahrhunderten gewohnt waren, dass alles dezidiert erklärt und vorgesetzt wird, entzog sich plötzlich diesem Schema und lud „nur zum Denken“ ein. Die Verunsicherung und Irritation waren groß, der Widerstand auch. Wie sollte man mit dieser Freiheit umgehen? Wie kann man diese (plötzliche?) Freiheit aushalten? Ist es wirklich Freiheit? Man war misstrauisch. Und man fragte sich weiter: Wer gibt mir Sicherheit? Wer gibt mir einen Rahmen, wer gibt mir Struktur? Wird Freiheit überschätzt?
Macht Sicherheit träge?
Hierarchie, Struktur, Vorgaben, Pläne, dezidierte Arbeitsanweisungen, klare Arbeitsplatzbeschreibungen, feste Zeiten – das gibt Sicherheit. Macht Sicherheit träge? Verführt sie dazu, auf Freiheit zu verzichten? Oder sind wir gerne bereit – auch im Arbeitsprozess – unsere Freiheit an den Nagel zu hängen, um den Preis der Sicherheit?
Was hat Sicherheit mit Verantwortung zu tun? Übernehme ich Verantwortung für mich, für meine Kompetenzen und Potentiale, bin ich bereit, zu lernen, mich einzubringen, zu agieren und zu reagieren? Oder lieber nicht? Wieviel Irritation verträgt ein System, eine Organisation?
Was löst es in einer Organisation aus, wenn beschlossen wird, sich von klassischen Vorgaben wie starren Arbeitszeiten und –rollen zu verabschieden? Was löst es aus, wenn man sich stattdessen zu einer flexiblen Unternehmenskultur entwickeln möchte, in der Führungskräfte Ermöglicher*innen sind, die nicht mehr vorgeben, sondern Rahmen schaffen, innerhalb derer sich die Mitarbeitenden selbstverantwortlich organisieren können? Ist das nicht eine wunderbare Freiheit für jede Einzelne und jeden Einzelnen, sich einzubringen? Oder macht es Angst, auf diesen neuen Pfaden auf nicht bekannte Gesichter zu treffen und über sich selbst immer wieder erstaunt zu sein?
Es sollte ermöglicht werden, dass Führungskräfte und Mitarbeitende sich die Freiheit nehmen, so zu arbeiten, dass alle lernen. Wahrscheinlich ist dies machbar. Wenn alle bereit sind, frei zu sein und hierfür Verantwortung zu übernehmen. Und wenn jede und jeder sicher ist. Und zwar, seiner selbst.










